… oder die Widerentdeckung des Restzuckers
Der Sommer ließ vergangenen Juli auf sich warten, Temperaturen knapp über 20 Grad und nur wenig Sonnenschein – kurz und bündig, die erhoffte Sommerfrische in Kärnten war fürs erste ein Reinfall.
Nun was soll man in so einer Situation machen? Ein Glück das Italien nicht weit ist und mit „Dolce Vita“ lockt. Das Friaul, haben meine Frau und ich schon zur Genüge unsicher gemacht, vom schnellen Ausflug nach Tarvis bis hin nach Udine, die meisten Routen sind bekannt. Nachdem der Regen nicht nachließ, haben wir kurzerhand entschlossen etwas mehr Kilometer auf uns zu nehmen und in die Prosecco-Region – genauer gesagt in dessen Kerngebiet – zu fahren.
Diese „unerwartete Reise“ (ja, der Titel ist von Tolkiens „Der Hobbit“ gestohlen) führte uns, ohne große Planung, für eine Nacht in das schöne Veneto – weshalb nur so kurz? Ich hoffte, dass Wetter wird wieder besser. Diese Hoffnung hätte ich mir sparen können …
Aber genug über das schlechte Wetter geschimpft und mehr zum Wein: Kurz und bündig, ich bin ein ausgesprochener Schaumweinliebhaber, wie bei den meisten (zumindest in meinem Bekanntenkreis) gelang der Einstieg in dieses Thema natürlich über den Prosecco; leicht, fruchtig, unkompliziert, so präsentieren sich die meisten von ihnen. Wenn man in das Thema einmal hineingekippt ist, will man aber oft mehr – also nicht nur leicht und unkompliziert –, es darf gern auch mal etwas mit Ecken und Kanten, kurz gesagt etwas mit Charakter, sein. So führt einen irgendwann nichts mehr um Champagner oder Franciacorta herum (oder anderen Produkte auf diesem Niveau). Auch entwickelte ich in den letzten Jahren fast schon eine Aversion gegen Restzucker bei Schaumweinen: am besten Zero Dosage, oder maximal ein paar Gramm an Zucker. Vieles was über diesen Bereich hinausging versuchte ich tunlichst zu vermeiden.
Soviel zu meinen Vorlieben im Bereich der „prickelnden Genüsse“. Am Weg nach Conegliano (der größten Stadt im Prosecco-Kerngebiet) hieß es dann ein wenig recherchieren, denn die letzte Reise in die Gegend ist bald schon 20 Jahre her und in der Region hat sich doch einiges getan – vor allem aus rechtlicher Sicht.
Bevor ich auf die gravierenden Veränderungen der letzten Jahre eingehe, kurz zu den Grundlagen: Der Begriff Prosecco soll aus dem 18. Jahrhundert stammen und bezeichnete ursprünglich einen Wein, der in der Umgebung des Dorfes Prosseck nahe Triest angebaut wurde – wer über die Autobahn schon mal nach Triest gefahren ist, kennt den Wegweiser zu dem Ort.
Da die Weißweinsorten aus diesem Eck des Friauls zu den eher spät reifenden zählten und die Winter in der Region bereits kalt genug sind, führte dies zu einer Besonderheit: der Gärungsvorgang wurde vorübergehend unterbrochen, erst wenn die Temperaturen wieder stiegen „sprang“ die Gärung erneut an und durch diese spontane zweite Gärung kam dann die Kohlensäure in den Wein – also eine zufällige Entdeckung, wie ursprünglich beim Champagner.
Mittlerweile wird Prosecco fast ausschließlich aus der Glera-Traube produziert (minimum 85 % Glera; max. 15 % von autochthonen Rebsorten: Bianchetta, Perera, Verdiso, Glera lunga; oder internationalen Sorten: wie Chardonnay, Pinot bianco, Pinot grigio und Pinot nero) – wo wir schon bei eine der grundlegenden Veränderungen des Proseccos wären: Früher war Prosecco aus der sogenannten „Prosecco“-Traube (der heutigen Glera-Traube), jedoch konnte der Schaumwein auch von anderen Regionen stammen. Diese Schaumweine wurden damals unter dem Begriff „Prosecco IGT“ (Indicazione Geografica Tipica) zusammengefasst (diese gibt es heute nicht mehr). Vor 2010 waren damit Weine, Perlweine und Schaumweine benannt, die aus der damals noch „Prosecco-Traube“ genannten Rebsorte bestanden, jedoch nicht aus den gesetzlich festgelegten Anbaugebieten kamen (Andere Synonyme für die Rebsorte Glera sind zum Beispiel Serprina, Serprino, Grappolo, Spargolo, Ghera oder Sciprina). Man könnte fast sagen, dass die Begrifflichkeit des „Proseccos“ mehr als ein Überbegriff für italienischen Schaumwein, denn als eine streng normierte Bezeichnung, verstanden wurde.
Mit dem zuvor bereits erwähnten Jahr 2010 (der eigentliche Stichtag für die Neudefinition der Bezeichnung Prosecco ist der 17. Juli 2009) hat sich aber alles grundlegend geändert: Es wurden genaue Regeln aufgestellt woher ein Schaumwein zu kommen hat, der sich Prosecco nennen will und welches Traubenmaterial verwendet werden darf (siehe oben). Einfach gesagt, wurde das Prosecco in zwei Bereiche aufgeteilt: der „Prosecco DOC“ (Denominazione di origine controllata), dieses reicht westlich von Padua (Venetien) bis nach Triest (Friaul) – damit liegt auch wieder der namensgebende Ort in der Prosecco Region. Und als zweites das DOCG (Denominazione di Origine Controllata e Garantita für „kontrollierte und garantierte Herkunftsbezeichnung“), dieses umfasst die Weinberge rund um Valdobiadene und Conegliano – also jenen Orten, die man Anfährt, wenn man davon spricht „ins Prosecco-Gebiet zu fahren“. Hierbei gilt es aber zwei verschiedene DOCG zu unterscheiden: Der „Conegliano Valdobbiadene DOCG“ kommt aus den zwei Anbaugebieten Valdobbiadene und Conegliano. Das Flüsschen Soligo markiert hier die Grenze zwischen den beiden Gebieten. Und dann noch der Colli Asolani DOCG, dieser stammt aus der Gegend um die Stadt Asolo.
Genug von der grauen Theorie, wieder zurück zur „unerwarteten Reise“: Nach ca. zwei Stunden Autofahrt waren wir endlich da! Conegliano präsentierte sich uns, beim Schnellen Durchfahren, als tolle Stadt mit teils prächtigen Villen und einem reizvollen Zentrum, aber leider blieb uns keine Zeit, die Stadt genauer zu erkunden, da wir auf kürzesten Weg zur „Prosecco-Straße“, welchen ihren Anfang in eben dieser Stadt nimmt, wollten.
Kurz nach Conegliano, genauer gesagt zwei Kilometer nach San Pietro di Feletto, plagte uns der Hunger so sehr, dass wir uns einen schnellen Happen genehmigten und die ersten Eindrücke auf uns wirken ließen – die Landschaft ist gewaltig, malerische Hügel, voll mit satten Grün und fast schon überladen wirkenden Rebstöcken.
Die Fahrt ging nun gestärkt durch ein erstes Gläschen Prosecco weiter. Wir waren hoch motiviert!
Die Motivation erhielt aber einen jähen Dämpfer, weil wir feststellten, etwas mehr Planung im Vorfeld wäre vernünftig gewesen. Die Auswahl an Produzenten ist einfach überwältigend: bei wem Anfangen, welcher muss sein, hinter jeder Kurve gab es gleich mehrere Cantinas – manche äußerst einladend, andere eher wenig.
Also nicht lange gefackelt: „Masuret“ (Guia di Valdobbiadene) war das erste „Opfer“… und sogleich ergaben sich neue – oder besser gesagt unerwartete – Einblicke ins Thema Prosecco. Die Dame, die uns die Weine aufwartete, erklärte fast alles was man zum Thema wissen musste. Besonders erwähnenswert war der Umgang mit dem Restzucker – dies hat sich auch bei den anderen Produzenten fortgesetzt:
Zu diesem wichtigen Thema gleich „in medias res“, die Prosecchi werden in „Extra Brut“, „Brut“, „Extra Dry“ und „Dry“ unterteilt. Vorweggesagt, hierbei handelt es sich nicht um ein Qualitätsmerkmal, es geht nur um den Gehalt an Restzucker pro Liter:
- Extra Brut: 0 – 4 g/L Restzucker
- Brut: 6 – 12 g/L Restzucker
- Extra Dry: 12 – 17 g/L Restzucker
- Dry: 17 – 32 g/L Restzucker
Zum Vergleich, bei Champagner geht man bei der Unterscheidung des Restzuckers viel weiter in die Tiefe:
- Ultra Brut, Brut Nature oder Brut integral, non dosé oder zero dosage: keine Dosage, 0 – 3 g/L Restzucker
- Extra Brut: Dosage mit 0 – 6 g/L Restzucker
- Brut: Dosage mit 0 – 12 g/L Restzucker
- Extra Sec oder Extra Dry: Dosage mit 12 – 17 g/L Restzucker
- Sec: Dosage mit 17 – 32 g/L Restzucker
- Demi Sec: Dosage mit 32 – 50 g/L Restzucker
- Doux: Dosage mit mehr als 50 g/L Restzucker (selten bei Champagnern)
Die verschiedenen Restzuckergehalte sagen, wie schon erwähnt, nichts über die Qualität des Prosecco aus, aber sie geben zumindest einen Hinweis wohin die „geschmackliche Reise“ geht. Grob kann man hierbei festhalten:
Bei „Extra Brut“ bzw. „Brut“ handelt es sich um den „weinigsten“ Prosecco, denn hierbei wird die Charakteristik der Glera-Traube am ausgeprägtesten widergespiegelt – dies deckt sich am ersten Blick auch mit meiner Tendenz zu Schaumweinen mit „Zero Dosage“.
Bei „Brut“ kann man sagen, dass es die Version ist, die am ehesten dem internationalen Geschmack entgegenkommt. „Brut“-Prosecchi zeigen meist schöne Noten von Zitrusfrucht, pflanzliche Aromen und auch schon mal angenehme brotige Noten.
„Extra Dry“ zählt wohl zu den in Italien und auch Österreich am weitest verbreitetste Typen. Schaumweine dieser Kategorie haben zumeist eine gute Mischung von sortentypischem Aroma und einer durch die Perlage schön hervortretende Würze. Der schon hohe Restzuckergehalt (12 – 17 g/L) verleiht diesen Prosecchi Eleganz.
„Dry“ ist die am wenigsten verbreitete Richtung. Bei ihm ist die fruchtig-blumige Note am auffälligsten. Es dominieren reife Früchte und am Gaumen präsentiert sich dieser sehr weich und mit vollmundiger Note – meist bewegen sich die berühmten „Valdobbiadene Superiore di Cartizze DOCG“ in dieser Zucker-Kategorie.
Mit diesen Informationen ausgestattet ging es weiter zum nächsten Produzenten: „Nani Rizzi“ (Guia di Valdobbiadene). Hier durften wir im modernen Ambiente unter fachkundiger Anleitung fast das gesamte Sortiment durchkosten.
Was die ersten Verkostungen schnell zeigten war, dass Prosecco etwas Restzucker sehr gut verträgt. Geleitet von unserm Hang zu „Zero Dosage“, begangen wir die Verkostungen immer mit so wenig Restzucker. Es zeigte sich dabei aber, dass jene Weine, mit ca. 10 g/l Restzucker am spannendsten waren. Die Weine mit wenig bzw. fast keinem Restzucker konnte man fast als zu flach und ohne Rückgrat bezeichnen. Erst mit ein paar Gramm an Zucker wurden die Schaumweine etwas gehaltvoller und spannender.
Als nächstes folgte „Ca‘ Salina“ (Valdobbiadene). Nach der hoch modernen Anlage, die wir zuvor besucht haben, präsentierte sich die Cantina, ganz klassisch und auf den ersten Blick fast sogar etwas bieder – die verkosteten Prosecchi machten diesen Eindruck aber wieder mehr als wett. Vor allem der Rose Spumante „Manzoni Moscato“ (Rosato Dolce, kein Prosecco) konnte uns begeistern.
Als letzte Cantina des Tages haben wir uns – für mich fast schon legendär – „Bisol“ (Santo Stefano di Valdobbiadene) vorgenommen. Das Weingut habe ich bereits vor ca. 20 Jahren das erste Mal besucht, deshalb auch der Nebensatz mit dem „legendär“, und ich musste feststellen, dass es in meiner Erinnerung ganz anders wirkte. Hatte ich von früher ein eher verstaubtes und gediegenes Bild im Kopf, präsentierte sich das Weingut uns hoch modern, fast schon reduziert, und die Schaumweine in top Qualität von schlank bis opulent!
Abgefüttert mit zahlreichen neuen Eindrücken und Informationen ging es nun für einen schnellen Café nach Valdobbiadene und dann weiter ins Hotel – eine absolute Empfehlung unsererseits –, die Villa Panigai (Farra di Soligo). Die Villa ist ein altehrwürdiges Herrnhaus. Das liebevoll und mit dem typischen italienischen Charm in Schuss gehaltene Haus, liegt perfekt für einen Besuch in der Region und bietet dazu auch noch eine schöne Poollandschaft. Als wir am Abend noch essen waren, konnten wir zu unserer Freude, noch den Prosecco aus dem Hause Panigai verkosten.
Am Tag der Rückreise hatten wir dann noch ein Ziel: „Andreola“ (Farra di Soliga). Aufmerksam wurden wir auf das Weingut, da der „Spumante Dry Superiore di Cartizze Valdobbiadene DOCG“ bei der Falstaff „Prosecco Trophy 2019“ unter den besten war – der Besuch bei Andreola hat sich mehr als gelohnt!
Nachdem unser Kofferraum und auch die Rückbank voll von unseren Errungenschaften war machten wir uns endgültig auf den Heimweg. Wir fuhren – eigentlich unabsichtlich – über die Strada Endimione und weiter über Via Bosco del Madean. Beide Straßen bilden eine schöne Berg und Tal fahrt. Der „Aufstieg“ begann in Valdobbiadene und endete in Combai – dieser Umweg hat uns einen traumhaften Blick über die Region geboten!
Abschließend muss man festhalten, dass dieser – etwas ungeplante – Ausflug extrem schön und auch interessant war. Vor allem die Wiederentdeckung des Restzuckers war sehr spannend. Denn es hat sich für mich gezeigt, dass eine generelle „Verteufelung“ bei Schaumweinen nicht gerechtfertigt ist. Vielmehr muss man wohl offenbleiben und auch hin und wieder über seinen Schatten springen. Beim Prosecco lohnt es sich allemal: Gerade bei der Glera-Traube waren jene Prosecchi zwischen 10 und 17 (also von „Brut“ bis „Extra Dry“) für uns die besten. Aber auch jene mit über 20 g/l, wie die zahlreichen „Cartizze“ waren absolut beeindruckende Weine und vertrugen diese große Menge an Restzucker – der Zucker verlieh diese den Weinen eine eigenständige Opulenz.